Hintergrund für das Projekt, das ein Forscherteam unter Leitung von Norbert Franz im Auftrag der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und finanziert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über drei Jahre hinweg durchführte, waren Sorgen über den Wegfall kleiner Fächer an den Hochschulen im Zuge der Einführung von Bachelor und Master und in Zeiten steigender Studierendenzahlen bei knapper werdenden Mitteln. „Im Bologna-Prozess sind die kleinen Fächer deshalb besonders gefordert, weil sie in der Regel zu wenig Personalkapazität haben […], um eigenständige Monobachelor mit einem aufbauenden Master anbieten zu können“, erläuterte Franz im Deutschlandradio.
Sein Team hat daher genauer hingeschaut: Wie ist es um die Landschaft der kleinen Fächer in Deutschland bestellt? Und welche Entwicklungen haben in den letzten Jahren stattgefunden? Auf einer internationalen Konferenz in Berlin wurden die Ergebnisse des eine halbe Million Euro schweren Projekts Anfang Dezember vorgestellt und mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutiert.
Demnach konnten sich die kleinen Fächer alles in allem behaupten und haben Lösungsmöglichkeiten für die Herausforderungen, vor denen sie standen und stehen, gefunden. Kleine Fächer sind nach Definition des Projekts solche, die entweder nur an sehr wenigen Hochschulstandorten in Deutschland präsent oder die mit maximal drei Professuren an einer Hochschule ausgestattet sind. Über den generellen Befund von Franz und seinem Team zeigte sich sogar der Auftraggeber überrascht: „Die Untersuchung hat ergeben, dass summa summarum die kleinen Fächer in ihrem Bestand gar nicht angegangen worden sind. […] Die Anzahl der Professuren ist sogar erhalten geblieben“, sagte der Generalsekretär der HRK, Thomas Kathöfer, im Gespräch mit dem Deutschlandradio. In ihrer Bestandsaufnahme kamen die Potsdamer Forscher(innen) auf insgesamt rund 120 kleine Fächer, die meisten in den Geistes- und Kulturwissenschaften. Die Zahl der Professuren in diesen Fächern lag in den letzten Jahren relativ konstant bei knapp unter 2.000.
Dies ist aber nur der allgemeine Befund. Sieht man sich die einzelnen Fächer genauer an, zeigen sich ganz unterschiedliche Entwicklungen.
„Wir haben einzelne Fächer, die bis zu dreißig Prozent ihres Personals in den letzten Jahren verloren haben, und andere Fächer, die deutlich aufgebaut haben“, konstatiert Franz. Und: „Es gibt Konjunkturen, auch das haben wir jetzt erstmals zeigen können“, so Franz, der selbst Professor für Slawistik an der Universität Potsdam ist. Die Entwicklung in den einzelnen Fächern könne von wissenschaftsimmanenten Veränderungen beeinflusst werden oder von gesellschaftlichen Trends. So verzeichneten beispielsweise die Anthropologie, die Kristallographie und die Mineralogie teils deutliche Einbußen bei der Anzahl der Professuren. Die Potsdamer Wissenschaftler(innen) führen dies auf Trends in den Naturwissenschaften zurück, die durch neue Themen wie „Life Sciences“ und Humangenetik geprägt sind. Auch die Fächer Bioinformatik und Biophysik gehören zu den eindeutigen „Gewinnern“: „Alles, was mit Bio zusammenhängt in den Wissenschaften, ist etwas, was Konjunktur hat, wo Forschung betrieben wird, wo in der Industrie Geld verdient wird“, meint Franz. Das Wachstum der Islamwissenschaften wird vor dem Hintergrund des „11. September“ verständlich. Die in diesem Zusammenhang gestiegene öffentliche Sensibilität für Religionen als gesellschaftlichem Faktor könnte für den Aufwuchs der Professuren in der Judaistik und der Religionswissenschaft verantwortlich sein. Auch ein Fach wie „Gender Studies“, das einen wichtigen gesellschaftlichen Trend wissenschaftlich bearbeitet, hat ein großes Wachstum zu verzeichnen.
Hingegen musste die Slawistik mit dem Ende des Kalten Krieges deutliche Verluste hinnehmen. Größere Einbußen erlitten auch die Altphilologien, deren Existenz sich ganz wesentlich auf die Lehrerbildung stützt. In den Geschichtswissenschaften verzeichnen die Wissenschaftsgeschichte, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte ebenso wie die Medizingeschichte starke Verluste; zulegen konnte hingegen die Geschichte zu außereuropäischen Regionen wie Ost- und Südasien oder Lateinamerika.
In Reaktion auf die Studienstrukturreform beobachten die Forscher(innen) einen Trend zu interdisziplinären Verbund-Studiengängen und internationalen Kooperationen. So werden Studiengänge, die früher auf ein kleines Fach lauteten, oft durch regionalwissenschaftliche Lehrformate wie Nahoststudien oder Südasienkunde ersetzt. Vorteil dieser Entwicklung sei, wie Franz gegenüber der Nachrichtenagentur dpa erklärte, dass so mehr Studierende an die Inhalte der kleinen Fächer herangeführt würden. Ein Nachteil sei jedoch, dass die Einzeldisziplinen mit ihren eigenen Methoden und Publikationen nicht mehr sichtbar seien und in der nächsten Generation die spezielle Fachexpertise fehle.
Die kleinen Fächer haben, so ein weiterer Befund des Projekts, ihre Forschungsprofile in den letzten zehn Jahren deutlich verändert und flexibel an die neuen Anforderungen angepasst. Sie kooperierten intensiv in Forschungsverbünden und wirkten am Aufbau neuer interdisziplinärer Zentren mit. Ihr großer Vorteil sei, dass sie zumeist international organisiert und gut vernetzt seien. Sie könnten daher zu Vorreitern mit Blick auf die Internationalisierungsstrategien ihrer Hochschulen werden, meint Franz. „Wir raten allen Fächern, nach Potenzialen zu suchen, die für die Hochschule wichtig sind, und sich an öffentlichen Debatten zu beteiligen“, wird Franz im Tagesspiegel zitiert. Denn in einem ist sich der Forscher sicher: Die kleinen Fächer werden künftig noch stärker unter Druck geraten als in den vergangenen zehn Jahren. „Die kleinen Fächer sind leichter eine Beute der Einsparung als größere Fächer. Da kommt etwas auf die Fächer zu.“ Auch wenn die meisten Hochschulleitungen erkannt hätten, was sie an ihren kleinen Fächern hätten, und man schon eine Tendenz feststellen könne, die kleinen Fächer vor Ort zu halten. Völlig ungelöst sei darüber hinaus die Frage der Ausbildung in seltenen Fremdsprachen im sechssemestrigen Bachelorstudium. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass 7- oder 8-semestrige Bachelorstudiengänge mit integriertem Auslandssemester besser geeignet sind, um den Spracherwerb und zugleich die Wissenschaftlichkeit des Bachelorabschlusses sicherzustellen.
HRK-Vizepräsident Klaus Dicke bezeichnete die kleinen Fächer als „hoch flexible, hoch qualifizierte, methodenplurale Partner im interdisziplinären Geschäft“. Hans Ulrich Gumbrecht von der Stanford University, der in Berlin die Keynote Speech hielt, sprach von „Laboratorien riskanten Denkens“. Die kleinen Fächer seien der Inbegriff dessen, was Universität im Kern ausmache, weil sie besonders gut dazu geeignet seien, eingefahrene Wege des Denkens infrage zu stellen und die Komplexität von Fragestellungen zu erhöhen. Für Bundesbildungsministerin Annette Schavan schaffen die kleinen Fächer die „Basis für die geistige Bewältigung der Globalisierung“. Sie seien damit „essentiell für unsere Gesellschaft“. Dicke lobte, dass nun eine Datenbasis zu den kleinen Fächern vorliege, auf deren Grundlage sich die Fachvertreter(innen) mit den Dekanaten und Hochschulleitungen bei anstehenden Entscheidungen verständigen könnten. Es gehe nun darum, die strategischen Konsequenzen aus den Projektergebnissen zu ziehen. Er mahnte die Vermittlung von Good Practice-Beispielen ebenso an wie die Einrichtung von Sonderprogrammen für die kleinen Fächer.
Die Anwesenden waren sich einig, dass die im Projekt gesammelten Daten aktuell gehalten werden müssten. Schavan sagte in einer Meldung ihres Ministeriums die Weiterführung der Projektfinanzierung für die nächsten drei Jahre zu. Im Gespräch mit Vertreter(inne)n der HRK, der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung und des Wissenschaftsrates wurde nach Ministeriumsangaben vereinbart, eine gemeinsame Strategie für die strukturelle Förderung der kleinen Fächer zu entwickeln, die im kommenden Frühjahr vorgelegt werden soll. Schavan sagte, sie könne sich vorstellen, eine Förderlinie für die kleinen Fächer in den Hochschulpakt 2020 zu integrieren, nahm dabei aber auch die Hochschulen in die Pflicht: „Dafür müssen die Hochschulen in Absprache mit den Ländern eigene Vorstellungen einbringen, wie sie die kleinen Fächer sinnvoll in die Strukturpläne einbeziehen wollen.“ (tm)
Quellen: HRK, BMBF, dpa, dradio, Tagesspiegel